Der Kunde und seine Frau – Eine stille Choreografie der Unsicherheit
- Andi Lehner
- 5. Apr.
- 2 Min. Lesezeit
Aktualisiert: 5. Apr.

Es gibt Rituale, die sich in Barbershops wie Jahresringe in Bäume brennen. Eines davon ist die stille, zärtliche Abhängigkeit zwischen Mann und Frisur. Oder besser gesagt: zwischen Mann und Frau – und ihrer Vorstellung von seiner Frisur.
Ein Kunde tritt ein. Er trägt eine gepflegte Jacke, riecht nach Eau de Chefetage und nickt höflich. Man merkt sofort: Hier kommt ein Mann, der Entscheidungen trifft. Wahrscheinlich über Budgets, Personal, oder welche Farbe der Carport haben soll.
Und dann setzt er sich. Und dann fragt man ihn:„Wie schneiden wir heute?“
Plötzlich passiert etwas. Die souveräne Haltung bricht leicht ein. Die Stirn legt sich in Falten. Er schaut nach links, nach rechts, vielleicht sogar in sich hinein – aber dort ist: nichts. Kein Bild. Keine Idee. Nur ein Echo: "Wie war das noch…?"
„Ich ruf lieber kurz meine Frau an.“Und so beginnt sie – die kleine, wortlose Tragikomödie des modernen Barbershop-Besuchs.
Für viele Männer ist der Haarschnitt kein Ort der Selbstverwirklichung, sondern ein funktionales Detail, delegiert an die Frau des Vertrauens. Sie weiß, was gut aussieht. Sie hat sich beim letzten Mal „gemerkt, wie das war“. Sie ist das Gedächtnis. Die Archivarin. Die Chefdesignerin.
Manchmal kommt die Antwort live per Anruf:„Schatz, soll’s wieder wie letztes Mal sein?“Manchmal liegt sie in Form eines verschwommenen Handyfotos vor, aufgenommen unter schlechtem Licht, vermutlich heimlich beim Rausgehen.Und manchmal kommt sie gar nicht – dann schauen wir gemeinsam auf einen Kopf und raten. Kreatives Roulette.
Natürlich ist das nicht schlimm. Nur menschlich. Es zeigt, wie sehr Beziehungen funktionieren können – bis in die Haarspitzen hinein. Und trotzdem ist da ein kleiner, amüsierter Seufzer, wenn ein Mann auf dem Friseurstuhl sitzt wie ein Schüler ohne Spickzettel.
Und da sind wir dann, Sarah und Andi, mitten im alltäglichen Schauspiel, in dem Haar und Herz ineinander übergehen. Manchmal schneiden wir nach Instinkt. Manchmal nach WhatsApp-Nachricht. Manchmal nach dem, was wir glauben, dass sie gemeint haben könnte.
Am Ende? Sieht der Kunde gut aus. Fühlt sich wohl. Zahlt. Und sagt vielleicht noch leise:„Ich bin gespannt, was meine Frau sagt…“
Wir auch.
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